Vorwort der Herausgeber Kunstgeschichte abseits aller Vereinseitigungen Der spektakuläre Münchner Kunstfund aus dem Nachlass des im Dritten Reich erfolgreichen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt hatte breitenwirksame Diskussionen zur Folge. Sie haben einmal mehr grell beleuchtet, wie wichtig die kontinuierlichen Positionsbestimmungen in der Kunstgeschichte sind und wie wenig Geschichte dabei als statisch abschließbares Gebilde zu betrachten ist. Das gilt sowohl für die Betrachtung einzelner Kunstwerke und Künstler, wie für die Betrachtung ganzer Kunstlandschaften oder Epochen, so auch für die Aufarbeitung der Nazidiktatur und ihrer Folgen. Der wohlfeile Ruf nach der Aufwertung einer autonomen Provenienzforschung in den Feuilletons der letzten Wochen machte dabei leicht vergessen, dass diese Provenienzforschung schon lange zum selbstverständlich praktizierten Handwerkszeug kunstwissenschaftlicher Arbeit in Museen, Forschungsinstitutionen und Universitäten gehört. Dass allerorten das Geld fehlt, diese Forschung sachgerecht und im notwendigen Umfang zu betreiben, sei dahingestellt. Die Provenienzforschung ist aber nicht von anderen Aspekten der kunstwissenschaftlichen Forschung abzutrennen. Das erweist nicht weniger schlaglichtartig das Elend der Kunstfälscherskandale, das den „Kunstfund“-Berichten in den Feuilletons vorausgegangen ist. Die leichte Rede anlässlich solcher Ereignisse, dass die Kunstgeschichte „neu geschrieben werden“ müsse, zeigt nur, was im akademischen Diskurs ohnehin Tag für Tag geschieht. Tatsächlich ist die Kunstgeschichte im Überlieferungszusammenhang von jeder Wissenschaftlergeneration – im wohlverstandenen, unaufgeregten Sinne – neu zu schreiben. Wenig überraschend, dass dabei auch Werkverzeichnisse von Künstlern nicht im Status der Letztgültigkeit und des abschließenden Wortes erscheinen, sondern einen verlässlichen Zwischenstand kunstwissenschaftlicher Bemühungen geben, der fallweise dann wieder ergänzt werden muss. Diesen Prozess wollen wir in den Besprechungen kunsthistorischer Neuerscheinungen im Journal für Kunstgeschichte kritisch begleiten. In Zukunft werden wir dazu auch verstärkt aktuelle Schwerpunktthemen aufnehmen, so wie sie sich in den kunsthistorischen Neuerscheinungen widerspiegeln. Die Kunstgeschichte ist nicht im Singular zu verhandeln. Wir sind in der Kunstgeschichte gut beraten, uns abseits aller Vereinseitigungen zu bewegen und in einer synoptischen Ausrichtung alle Aspekte im Blick zu behalten, die für das konkrete Verständnis der Kunstwerke und ihrer Geschichte wichtig sind: Dazu gehört die ganze Palette der kunsthistorischen Forschungsfragen, unter Einschluss der bildwissenschaftlichen und neuesten naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden. Keine einzelne Methode sollte für sich genommen isoliert im Rang überdehnter Heilserwartungen einen nicht hinterfragbaren Erkenntnisanspruch für die Kunst beanspruchen können. Das haben uns exemplarisch Glück und Elend der Vereinseitigung selbst naturwissenschaftlich-technischer Untersuchungsmethoden am Beispiel des Rembrandt Research Projects vor einigen Jahren vor Augen gestellt. Auch hier gilt für die Zukunft, eine Kunstgeschichte abseits aller Vereinseitigungen zu praktizieren. Diesem Anspruch wollen wir nicht zuletzt auch mit dem – im nächsten Jahr nochmals zu überarbeitenden – Gliederungssystem der kunsthistorischen Stichworte dieser Zeitschrift möglichst perspektivenreich gerecht werden. Mit diesem Heft vollziehen die Herausgeber des Journals für Kunstgeschichte auch in der äußeren Form noch eine kleine Veränderung: Textabbildungen, die für das sachliche Verständnis beim Lesen hilfreich sind, werden in die Besprechungen einbezogen, ohne die Textorientierung aufzubrechen. Schließlich in eigener Sache: Auch in diesem Heft sind noch Rezensionen zu finden, die von unseren Vorgängern Ludwig Tavernier und Dieter Marcos vergeben wurden, und die uns natürlich ebenso willkommen sind wie die inzwischen zahlreichen Rückmeldungen von früheren Rezensenten. Aus dieser Übergangssituation ist auch die Rezension Erwin Pokornys zur Publikation eines der beiden Mitherausgeber hervorgegangen. Wir haben uns dennoch entschieden, die Besprechung ausnahmsweise in diesem Heft noch zu drucken, nicht zuletzt weil der Text selbst für die vollständige Unabhängigkeit des Rezensenten spricht. Auch dieses Mal haben wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Regensburg und Stuttgart für die reibungslose organisatorische Unterstützung zu danken, namentlich Gerald Dagit, Katharina Frank, Theresa Häusl und Daniel Rimsl. Ganz bewusst haben wir inzwischen fortgeschrittene Absolventinnen, Absolventen, Habilitanden und Doktoranden im Rahmen einer von uns betreuten universitären Schreibwerkstatt an der redaktionellen Bearbeitung und den inhaltlichen Diskussionen zu den Neuerscheinungen beteiligt: Nachwuchsförderung und die Förderung kritischen Denkens beginnt nicht erst mit der Aushändigung der Promotionsurkunde. Auch qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus allen Himmelsrichtungen mögen in die Reihen der etablierten Fachvertreter treten, die für das Journal für Kunstgeschichte schreiben. Sie sind herzlich zur Mitarbeit eingeladen!
Journal für Kunstgeschichte – Jahrgang 2013 Heft 4
Heft 4 von 2013
Vorwort der Herausgeber Kunstgeschichte abseits aller Vereinseitigungen Der spektakuläre Münchner Kunstfund aus dem Nachlass des im Dritten Reich erfolgreichen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt hatte breitenwirksame Diskussionen zur Folge. Sie haben einmal mehr grell beleuchtet, wie wichtig die kontinuierlichen Positionsbestimmungen in der Kunstgeschichte sind und wie wenig Geschichte dabei als statisch abschließbares Gebilde zu betrachten ist. Das gilt sowohl für die Betrachtung einzelner Kunstwerke und Künstler, wie für die Betrachtung ganzer Kunstlandschaften oder Epochen, so auch für die Aufarbeitung der Nazidiktatur und ihrer Folgen. Der wohlfeile Ruf nach der Aufwertung einer autonomen Provenienzforschung in den Feuilletons der letzten Wochen machte dabei leicht vergessen, dass diese Provenienzforschung schon lange zum selbstverständlich praktizierten Handwerkszeug kunstwissenschaftlicher Arbeit in Museen, Forschungsinstitutionen und Universitäten gehört. Dass allerorten das Geld fehlt, diese Forschung sachgerecht und im notwendigen Umfang zu betreiben, sei dahingestellt. Die Provenienzforschung ist aber nicht von anderen Aspekten der kunstwissenschaftlichen Forschung abzutrennen. Das erweist nicht weniger [...]